Die Welt wird niemals still: Welche Auswirkungen hat Lärm auf unser Herz-Kreislauf-System?

Hupende Autos, Verkehrsrauschen oder Fluglärm: Wir sind in unserem Alltag ständig einer konstanten Geräuschkulisse ausgesetzt – Tag und Nacht. Besonders in Großstädten oder in der Nähe von Flughäfen gibt es kaum Momente, in denen vollständige Stille herrscht. Aber auch in ländlichen Regionen ist die nächste Straße oft in hörbarer Nähe. Fakt ist: Lärm ist ein Stressfaktor für unseren Körper und hat Auswirkungen auf unsere Gesundheit – vor allem auf das Herz-Kreislauf-System. Der durch den Lärm ausgelöste Stress aktiviert unser Nerven- und Hormonsystem: Als Folge kommt es zu Veränderungen bei Blutdruck, Herzfrequenz und anderen Kreislauffaktoren. Eine Langzeitstudie hat diesen Effekt von Lärmbelastung auf die Herzgesundheit bei Flughafenanwohner*innen untersucht – dabei hat der erste Lockdown im Jahr 2020 zu unerwarteten Studienergebnissen geführt.

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Viele Menschen leiden unter Lärm.
galitskaya/stock.adobe.com

Was macht Lärm mit unserem Körper?

Bei einer regelmäßig durchgeführten Umfrage des Umweltbundesamts gaben 75 % der befragten Personen an, sich in ihrem Wohnumfeld durch Straßenverkehr gestört oder belästigt zu fühlen. An zweiter Stelle der verkehrsbedingten Lärmbelästigungen steht der Luftverkehr: Der Fluglärm stört 42 Prozent der Bevölkerung und europaweit sind etwa vier Millionen Menschen Tag und Nacht Fluglärm ausgesetzt, der 55 dB überschreitet. Eine solche Lärmbelastung kann bereits gesundheitsschädigend sein und liegt über dem von der WHO empfohlenen Grenzwert.

Aber wie nimmt unser Körper Schall überhaupt als Lärm wahr? Schall ist zunächst das, was wir mit unserem feinen Sensor – dem Ohr – wahrnehmen, bzw. hören. Unser Ohr ist immer aktiv, auch im Schlaf, und sendet somit permanent Signale an das Gehirn. Der wahrgenommene Schall wird erst zu Lärm, wenn ein Geräusch als negativ empfunden wird und es Störungen, Belästigungen sowie körperliche Beeinträchtigungen oder Schäden hervorruft.

Zu viel Lärm, sowohl in Stärke oder Dauer, kann nachhaltig die Gesundheit beeinträchtigen und körperliche Schäden hervorrufen. Diese können sich natürlich auf das Gehör auswirken – insgesamt wirkt sich Lärm aber auf den gesamten Organismus aus. Das passiert aber nicht erst, wenn man tagelang neben einem Presslufthammer steht: Auch schon niedrige, nicht-gehörschädigende Schallpegel können diese Reaktionen auslösen, wie beispielsweise Verkehrslärm. Eine permanente Lärmbelastung beeinflusst unseren Körper massiv: Er schüttet vermehrt Stresshormone aus, die wiederrum in die Stoffwechsel- und Regulationsvorgänge des Körpers eingreifen. Die Kreislauf- und Stoffwechselregulierung wird weitgehend unbewusst über das autonome Nervensystem vermittelt. Die Problematik ist daher: Die autonomen Reaktionen treten somit auch im Schlaf und bei Personen auf, die meinen, sich an Lärm gewöhnt zu haben – und bleiben somit häufig lange unbemerkt. Zu möglichen Langzeitfolgen ständiger Lärmbelastung gehören neben Gehörschäden auch Änderungen bei biologischen Risikofaktoren, wie beispielsweise den Blutfetten, Blutzucker und Gerinnungsfaktoren, sowie Schlafstörungen und psychischen Belastungen.  Besonders signifikant ist allerdings der Zusammenhang zwischen Lärm und der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Der Einfluss von Lärm auf unser Herz

Zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen Lärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Arterienverkalkungen, Bluthochdruck und bestimmten Herzkrankheiten, einschließlich Herzinfarkten. In einer Langzeitstudie der Jagiellonen-Universität in Krakau wurden die Auswirkungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit bei Bewohner*innen in unmittelbarer Wohnnähe des Krakauer Flughafens untersucht, die Tag und Nacht einem Lärmpegel von über 60 dB ausgesetzt waren. Eine erste Analyse der erhobenen Daten im Jahr 2015 hatte ergeben, dass eine dauerhafte Aussetzung von Fluglärm mit einer erhöhten Gefäßsteifigkeit einhergeht. Dies bedeutet, dass sich die Arterienwände versteifen und somit Blutdruck und Puls beeinflusst werden. Für die Analyse verglichen die Forschenden den Blutdruck und die Pulswellengeschwindigkeit als Maß für die Gefäßsteifigkeit von 74 Flughafenanwohnern zu verschiedenen Zeitpunkten. Die gleichen Untersuchungen wurden auch an 75 Kontrollpersonen durchgeführt, die nicht ständigem Fluglärm ausgesetzt waren. Alle Teilnehmer*innen füllten auch Fragebögen zu Lebensstil, Vorerkrankungen, Medikamenten, subjektiver Wahrnehmung der Lärmbelastung und Schlafqualität aus.

Dauerhafter Lärm, höherer Blutdruck

Nach fünf Jahren kontinuierlicher Lärmbelastung war die Häufigkeit von Bluthochdruck innerhalb der „Flughafen-Gruppe“ signifikant gestiegen, und zwar von 42 % auf 59 %. In der Kontrollgruppe wurde hingegen kein solcher Unterschied beobachtet. Außerdem zeigten sich auch deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bei der Abnahme des diastolischen Blutdrucks zu Arbeits- und Schlafenszeiten, sodass die Vermutung naheliegt, dass die gestörte Nachtruhe einen Einfluss auf die Gefäßsteifigkeit und Bluthochdruck hat. Zu Beginn der Studie gaben 40 % der Flughafenanwohner*innen an, dass sie nachts häufiger aufwachten – bei der Kontrollgruppe waren es nur 24 %. Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass nächtlicher Lärm eher kardiovaskuläre Krankheiten verursachen können als eine Lärmbelästigung am Tag.

Lärm und Lockdown

Im März 2020 stand die Welt aufgrund des COVID-19-bedingten Lockdowns vieler Orts still: Während im Jahr 2019 am Krakauer Flughafen noch rund 8 Millionen Flugpassagiere befördert wurden, flog 2020 für rund 7 Wochen kaum ein Flugzeug am Himmel. In diesem Zeitraum wurden die Langzeiteffekte des Lärms ermittelt – und es wurde überprüft, ob der Lockdown etwas daran änderte.

Die ausgewerteten Daten zeigten, dass sich der Lockdown positiv auf die Herzgesundheit ausgewirkt hat: Die Anwohner*innen fühlten sich nicht nur weniger durch den Lärm belastet, sondern auch der Blutdruck und die Gefäßsteifigkeit nahmen ab: Der obere Blutdruckwert war von durchschnittlich 121 auf 118 und der untere von 75 auf 72 mmHg gesunken. Bei den Personen, die nicht am Flughafen wohnten, haben sich die Werte hingegen kaum verändert. Insbesondere bei der Gefäßsteifigkeit waren deutliche Unterschiede zu beobachten. Außerdem hat sich auch die Schlafqualität der Flughafenbewohner*innen verbessert: Nun gaben nur noch 24 % an, dass sie nachts häufiger aufwachten.

Expert*innen fordern präventive Maßnahmen

Lärm und weitere Umweltrisiken wie Umweltverschmutzung werden zunehmend als wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt. Sie wirken sich negativ auf die Herzgesundheit aus und werden für Millionen vorzeitiger Todesfälle verantwortlich gemacht. Expert*innen fordern deshalb auch politische Maßnahmen, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu gewährleisten und verbessern. In einem Artikel, der vor kurzem im European Heart Journal veröffentlicht wurde, hat eine Gruppe internationaler Umweltforscher*innen die epidemiologischen und mechanistischen Ursachen für einen Zusammenhang zwischen Lärm, Feinstaub und Herzkreislauferkrankungen zusammengefasst und umfassende Maßnahmen zu Reduzierung dieser Krankheiten vorgestellt und diskutiert. In Bezug auf Lärm im Straßenverkehr empfehlen die Expert*innen folgende Maßnahmen, die den Lärmpegel[1] maßgeblich verringern und somit den Schutz unserer Herzgesundheit gewährleisten sollen:

 

  • Geschwindigkeitsreduktion um 10 km/h.
  • Alle Autos durch Elektroautos ersetzen.
  • Verlagerung des Verkehrs von der Nacht auf den Tag.
  • Reduzierung des Verkehrs um 25 %.
  • Geschwindigkeitsreduktion um 30 km/h.
  • Ruhige Straßenoberflächen.
  • Geräuscharme Reifen. 
  • Reduzierung des Verkehrs um 50 %.
  • Aufstellen von Lärmschutzwänden.
  • Reduzierung des Verkehrs um 65 %.
  • Bau hoher Lärmschutzwände.
  • Reduzierung des Lärms um 90 %.
  • Schallreduzierende Fenster.
Insgesamt fordern die Expert*innen ein verstärktes Bewusstsein für die Gesundheitsbelastung durch Umweltfaktoren: In den neuen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) wurden, neben Lärm, auch Faktoren wie Umwelt- und Luftverschmutzung sowie der Klimawandel als Risikofaktoren mitaufgenommen. So kann dazu beigetragen werden, dass die Gesetzesänderungen vorangetrieben werden und so die Herzgesundheit geschützt werden kann.

[1] Nach überschlägigen Berechnungen ist etwa die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm mit Mittelungspegeln von mindestens 55 dB(A) tags beziehungsweise 45 dB(A) nachts ausgesetzt. Circa 15 Prozent werden sogar mit Pegeln von mindestens 65 dB(A) tags beziehungsweise 55 dB(A) nachts belastet (Quelle: Umweltbundesamt).

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